Erschöpfung

 

 

 

 

 

Erschöpfung, Kraftlosigkeit, Müdigkeit,... diese Begriffe bekommen im Krankheitsbild ME/CFS eine völlig neue Bedeutung. Sie haben nichts damit zu tun, was man sich als gesunder Mensch darunter vorstellt. Diese Kraftlosigkeit und Erschöpfung betrifft Muskeln, Gelenke, das Konzentrationsvermögen, das Sprechvermögen, sogar das Atmen selbst, was sich zeitweise sehr bedrohlich anfühlt. Vielleicht könnte man den Zustand mit einer schweren echten Grippe im Akutstadium vergleichen, wo der ganze Körper schmerzt, das Herz anders arbeitet, der Kreislauf wegkippt und nicht einmal das Stehen gut gelingt. Es ist, als hätte man ständig die Symptome einer schweren Grippe, nur heilt diese eben partout nicht aus.

 

Versucht man ein paar Schritte zu gehen, spürt man, wie die Muskeln vor Anstrengung zittrig werden und danach die Gelenke zu schmerzen beginnen, da sie völlig überansprucht werden - in Hinblick auf die zur Verfügung stehende geringe Kraft. Die ersten Monate der Erkrankung bin ich nur auf allen Vieren durch die Wohnung gekommen, ans Spazieren gehen oder nur zum Postkasten hinunter Gehen war nicht zu denken. Duschen war unmöglich, da hätte ich stehen müssen; stattdessen habe ich morgens die Badewanne volllaufen lassen und mich einfach hinein gesetzt. Mehr war nicht möglich.

 

Dauert ein so schwerer Erschöpfungszustand länger an, lernt man damit umzugehen und beginnt, ökonomisch und überlegt an die Sache heran zu gehen. D.h. nach dem morgendlichen Gang ins Bad kroch ich in die Küche, um dort direkt neben Herd und Kühlschrank zu frühstücken, natürlich auf einem bereit gestellten Sessel, danach nahm ich auf dem Weg durchs Wohnzimmer alles ins Schlafzimmer mit, was ich vormittags brauchte. Die Jause aus der Küche, etwas zum Lesen aus dem Wohnzimmer, Mineralwasser, etc. Das alles schob ich am Boden kriechend vor mir her. Wieder im Bett angekommen, war ich völlig erledigt und hatte höllische Schmerzen in den Armen und Beinen. Bis Mittags verbrachte ich die Zeit mit ein wenig Lesen, Schlafen, Radio hören, Dösen und Entspannungsübungen zur Schmerzreduktion. Ruhepausen zwischen den einzelnen Aktivitäten hatten sich als hilfreich erwiesen.

 

Symptome verändern sich über die Jahre. Sie werden stärker oder weiten sich aus. Manche haben sich zurückgebildet wie die Schmerzen, die sich bei ausreichender Schonung in Grenzen halten und dann oft komplett verschwinden. Auch an Kraft habe ich über die Jahre wieder dazu gewonnen. Es klingt komisch, aber wenn ich sage, ich kann 10 min. pro Tag am Stück schmerzfrei gehen, ist das wirklich ein großer Fortschritt! Manchmal habe ich auch ein kleines Klappsesselchen umgehängt, so kann ich jederzeit an jedem Ort ausruhen. Mit so einem Camping-Sessel wird man auch mutiger und traut sich etwas weitere Wege zu und kommt vor allem dort hin, wo man gern hin möchte.

 

Auch wenn die Erschöpfungszustände seltener, weniger tief und kürzer geworden sind, kommen sie doch immer wieder zurück und zwingen mich meist zu mehrtägigem Liegen und Schlafen. In solchen Phasen ist jedes Wort, das ich sprechen muss zu viel, bewirkt sofort eine Verkrampfung aller Muskeln sowie Atemnot. Telefonieren ist besonders anstrengend, ich vermeide es seit Jahren, ebenso wie ich Treffen mit Freunden und Bekannten eingeschränkt habe, da es mir auf Grund der fehlenden Kraft oft nicht einmal möglich ist, mich auf jemand anderen einzustellen, geschweige denn, eine Unterhaltung zu führen. Jedes Wort, jeder Schritt, jede Art von Konzentration ist anstrengend, als ob man eine Bergtour machen müsste.

 

Manche empfinden meinen sozialen Rückzug als Beleidigung oder als Provokation, dabei übersehen sie, dass kein Mensch eine derartige soziale Isolation aus freien Stücken wählt, sondern es im Moment die einzige Möglichkeit für mich darstellt, nicht auch noch die wenigen, wertvollen, für den Alltag benötigten Kräfte zu verlieren.

 

 

 

Ein etwas längerer, englischsprachiger Artikel der OHC zum Krankheitsbild und zum Energiemanagement bei ME/CFS (Pacing):

https://www.theoptimumhealthclinic.com/2010/02/the-art-of-pacing-in-chronic-fatigue-syndrome-cfs-me/

(abgerufen am 1.10.2019)

 

weiters:

http://www.cfs-aktuell.de/index-Dateien/Goudsmit.pdf