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                               Reaktionen

 

 

 

 

 

 

      

Menschen reagieren sehr unterschiedlich auf die Erkrankung ME/CFS, es scheint davon abzuhängen, wie nahe sie einem stehen und ob eigene Erfahrungen mit schweren Erkrankungen im bisherigen Leben bereits gemacht werden konnten oder nicht.

 

Die häufigste und erste Reaktion ist meistens Unverständnis und Verharmlosung. Kaum jemand kennt dieses Krankheitsbild und man sieht auch nicht krank aus. Es wird daher zunächst davon ausgegangen, man bilde sich das alles ein, eventuell wäre das ganze psychisch, jedenfalls könne man definitiv nicht krank sein. Die Menschen schreiben sich nicht nur ärztliche und psychologische, sondern auch hellseherische Kompetenzen zu. Im weiteren Verlauf, v.a. bei längerem Fortbestehen von Schwäche und Hilfsbedürftigkeit (Immobilität), erfährt man oft Ablehnung, Rückzug, Ärger und bisweilen Wut. Mit einer chronischen schweren Erkrankung können die wenigsten Menschen umgehen, viele sind komplett überfordert und lehnen es ab, damit belastet zu werden.

Das verstehe und akzeptiere ich vollkommen, ich möchte meine Leben auch am liebsten unbelastet und frei führen können und nicht an jemanden, der nicht mehr voll funktioniert, angekettet sein; auch möchte ich selbst ja niemandem zur Last fallen.

 

Das Nicht-Gesund-Werden wird oft als absichtliche Provokation missverstanden und das Kranksein als Machtinstrument umgedeutet, mit welchem sich der Kranke Vorteile verschaffe. Man sei zu faul zum Arbeiten, zum Einkaufen, zum Spazierengehen und nutze den anderen nur aus. Eine Bitte um Hilfe wird zwar nicht abgeschlagen, aber auch nicht in einer einfachen, unkomplizierten Weise erfüllt, sondern es werden erschöpfende Diskussionen inszeniert, die auf eine Umkehr des - dem Kranken unterstellten - Macht- und Unterwerfungsspiels abzielen: Der Kranke und die Krankheit sollen endlich unter Kontrolle gebracht werden und er möge bitte wieder funktionieren. Es wird klar spürbar, dass die Helferperson eigentlich gar nicht helfen will, sondern versucht, sich aus der unangenehmen Position herauszuwinden um die Kontrolle über die Situation zu erlangen, was völlig absurd ist bei diesem schweren Krankheitsbild.

Offenbar führt starkes Mitgefühl und Mitleid zu strengem  und erzieherischem Verhalten, die Erkrankung muss abgewehrt und verleugnet werden, da sie sonst nicht ertragen werden kann.

 

Ich persönlich habe dieses Problem durch Rückzug von schwierigen Kontaktpersonen gelöst, Diskussionen darüber haben sich als zu anstrengend erwiesen und ich muss auch zur Kenntnis nehmen, dass dort, wo Erfahrungswissen über Krankheiten und Krisen fehlt, intellektuelles Informieren oft nur unzureichend ist und ich zum anderen nicht durchdringe.

 

Durch Bevormundung, Besserwissen, Entmündigung werden subtil bereits ohnehin bestehende Sorgen und Ängste bezüglich eingeschränkter Lebensführung und Selbstbestimmung verstärkt, die eigene Integrität weiter bedroht, und durch den zusätzlichen Stress Symptome verstärkt.

 

Einfaches Mitfühlen, Anteilnahme und Hilfe bei der Erledigung mancher Angelegenheiten wäre einfach und unkompliziert möglich, würde man meinen, ist es aber ganz und gar nicht.

 

Manche Leute erwarten allen Ernstes, dass man zu beginnen habe, seine persönliche Lebensführung, seine Gewohnheiten, seine Werte und Ansichten aufzugeben und sich gefälligst den Sichtweisen und Ratschlägen des Helfers zu unterwerfen. Das wird als fairer Preis dafür angesehen um eine entsprechende Hilfeleistung zu erhalten. Dass gut gemeinte Ratschläge wie z.B. Sport und intensive Bewegung bei ME/CFS schädlich und kontraindiziert sind, da sie schwere Rückfälle auslösen können, glauben sie nicht, stattdessen halten sie rigide an ihren eigenen sich bewährt habenden Lebensstrategien fest als wären diese letztgültig gefundene Wahrheiten, die auch anderen übergestülpt werden müssten und auf jeden Fall für schwer erkrankte Personen zu gelten haben.

 

Kein Mensch verzichtet freiwillig auf seine Gesundheit, auf seine Selbständigkeit und auf seine Mobilität! 

Kein Mensch möchte seine Einkäufe und sonstigen Erledigungen von anderen Personen ausgeführt haben. Niemand steht gern in der Schuld anderer, v.a. nicht für so lange Zeit. Jeder wählt am liebsten selbst die Nahrungsmittel im Supermarkt aus, redet am liebsten selbst mit dem Automechaniker oder der Apothekerin und ersetzt gern selbst die zerschlissene Decke durch eine neue. Was alleine online bewältigbar ist, macht man ohnehin selbst, Hilfe wird nicht unreflektiert erbeten, kein Kranker ladet sich gern Berge von Schuld, die durch einseitiges Nehmen entstehen, auf!

 

Hilfe ergibt für mich nur dort Sinn, wo mir etwas abgenommen wird und nicht wo man mich in Grundsatzdiskussionen verwickelt, warum man das, worum man bittet, überhaupt brauche.

Wir Menschen sind alle unterschiedlich, haben unsere individuellen Gewohnheiten, Bedürfnisse, Lebensentwürfe und Heilungsstrategien. Bevormundung und Besserwissen erlebe ich als Formen von Aggression und subtiler Gewalt.