Übererregung des ANS

 

 

 

 

 

 

 

Das Autonome Nervensystem (ANS) ist normalerweise dafür zuständig, selbständig bestimmte Prozesse im Körper wie unseren Herzschlag, den Blutdruck, die Verdauung, den Stoffwechsel, die Atmung, Temperaturunterschiede, etc.  zu regulieren. Willentlich können wir kaum Einfluss nehmen und wenn dann eher auf indirektem Weg.

 

Aus irgendeinem Grund kommt es während der Erkrankung zu einer völligen Entgleisung des ANS. Die Selbstregulationsfähigkeit des Körpers geht verloren. So treten Symptome auf, die mit den oben aufgezählten autonomen innerkörperlichen Vorgängen zu tun haben und darüber hinaus werden auch Empfindungen und Emotionen nicht mehr gut reguliert. Der ganze Körper gelangt in einen übersteigerten Erregungszustand und kommt sozusagen nicht mehr "herunter". Es fühlt sich an, als ob man ständig überreizt ist bzw. kleinen Schocks ausgeliefert ist. Der Körper reagiert bei Kleinigkeiten mit Erschrecken und Zusammenzucken und findet nicht mehr zur gewohnten Ruhe zurück. Irgendwann verbleibt der Körper schließlich in dieser permanenten Alarmbereitschaft und erschöpft sich durch diesen inneren Aufruhr zusätzlich.

 

Auslöser sind meist Kleinigkeiten, wie das Schrillen eines Telefons, die Reizüberlastung bei zu raschen Filmschnitten, kalte Außentemperaturen, helles Sonnenlicht, Sommerhitze, lautes Schreien, Parfüms, etc. Ich trage im Winter in der Wohnung (!) Haube und Schal, manchmal sogar einen Anorak, habe auf Grund der übersteigerten Lichtempfindlichkeit die Jalousien ständig herunten und leicht gekippt, mein Telefon ist seit Jahren auf lautlos gestellt und liegt weit weg von mir, da auch das Vibrationsgeräusch ein Zusammenzucken auslöst. Es herrscht ein komplettes Unvermögen vor, Temperatur, Lärm, Wetterumschwünge, Emotionen regulieren zu können. Selbst Musik hören, v.a. klassische und moderne Musik, mit ihren starken Lautstärke-Schwankungen, ist seit Jahren nicht mehr möglich. Ein Trommelwirbel oder ein plötzlich einsetzendes forte bringt das ANS sofort wieder in völlige Aufruhr - und das bleibt dann für Stunden so, bis es sich langsam wieder beruhigt.

 

Emotionen mit normalerweise geringer Erregungsqualität (Erschrecken, emotionales Mitschwingen im Gespräch oder bei einem Film, auftauchender Ärger oder auch Freude) schießen in heftiger Qualität ein und bleiben lange unverändert auf hohem Niveau. Und das hat entweder sofort oder zeitverzögert eine tief erschöpfende Wirkung. Das normalerweise rasche Abklingen von hoher Erregung gelingt dem Körper einfach nicht.

Sehr schwer betroffene Patienten liegen genau wegen dieser so schwer in den Griff zu bekommenden Übererregbarkeit in abgedunkelten Räumen, da Außenreize überhaupt nicht mehr ertragen und Emotionen nicht mehr reguliert werden können.

 

Man kann sich das Gefühl dieser permanenten Schocks ungefähr so vorstellen als ob man mit dem Auto nichts ahnend bei Grün in die Kreuzung einfährt und plötzlich rast unvermutet ein Auto daher, das eigentlich hätte anhalten müssen. Es geht sich gerade noch aus, nichts passiert. Dennoch schnellt sofort der Adrenalin-Spiegel nach oben, eventuell wird man nach Luft ringen, zittrig werden oder sogar anhalten müssen um sich zu beruhigen. Dieses Szenario stelle man sich nun mehrmals täglich vor, ohne dass dazwischen Pausen der Entspannung eintreten.

 

Pacing (richtiges Energie-Management) und Entspannungsübungen können helfen, das ANS herunter zu fahren. Gelingt es, innerlich halbwegs aus dieser Übererregung herauszufinden, wird auch die abgrundtiefe Erschöpfung manchmal besser. Allerdings ist das einfacher gesagt als getan. Im Grunde genommen ist man den ganzen Tag damit beschäftigt, die innere Erregung zu besänftigen!

 

Termine, Treffen, Telefonate, Gespräche,.... all das ist immer begleitet von subtilen Empfindungen wie Vorfreude und Aufregung, manchmal Unbehagen oder Ärger. Diese, von einem Gesunden kaum beachteten Emotionen sind überwältigend und bedeuten Stress pur (siehe oben das Beispiel mit dem Beinahe-Verkehrsunfall). Um diese Aufregungen halbwegs in den Griff zu bekommen, bin ich derzeit gezwungen, Kontakte sehr einzuschränken.

 

 

 

 

Literatur dazu findet man u.a. bei Ashok Gupta, der ein eigenes Trainings-Programm zur Beruhigung des ANS entwickelt hat. Die Wirkung des Kurses wird von Patienten in diversen Diskussionsforen unterschiedlich bewertet: https://www.guptaprogram.com/de/

zu Pacing bei ME/CFS: http://www.cfs-aktuell.de/index-Dateien/Goudsmit.pdf